"..."
Regie und Drehbuch - Ben Russell
Kamera - Chris Fawcett
Laufzeit- 135 Minuten
Erscheinungsjahr - 2009
Trinh T. Minh-ha sagte einst in ihrem großartigen Film THE FOURTH DIMENSION über das ethnographische Beobachten: "Show a country, speak of a culture in whatever way, and you'll enter into fiction while yearning for invisibility." In diesem Satz drückt sie die Unmöglichkeit der objektiven Feldforschung der Ethnographie aus da sie meint das man nie frei von seinen eigenen, meist natürlich unbewusst ablaufenden, Gedankengängen ist welche alle immer stark von der eigenen Erfahrung beeinflusst sind und, mal wieder unbewusst, die eigene Wahrnehmung stetig im Griff haben. Deshalb sagt sie das das Betrachten anderer Kulturen oder Nationen, welche nicht die eigene(n) sind, immer zu einigen Teilen der Unwahrheit verschrieben sind. Das man sich grob gesagt nie wirklich in die verschiedenen Mentalität einfühlen oder gar einleben kann. Ben Russell hat sich für seinen ersten Langfilm, so scheint es, wohl durch und durch dieser Tatsache bewusst gemacht und das Konzept zu seinen Vorteilen umgesetzt für "Let Each One Go Where He May"
Dabei ist es doch durchaus verwunderlich das so ein doch sehr geerdeter Film von einem der bekanntesten zeitgenössischen experimentellen Filmemacher kommt. Russells bis dato bekannteste Werk ist seine Trypps Reihe in welcher er in Kurzfilm Format versucht Trips zu visualisieren und dabei mit Film als Medium, eben ganz seiner Jobbeschreibung nach, zu experimentieren. Das sieht dann so aus das der erste Teil der Trypps Filme z.B. ein Schwarzes Bild ist welches sich über eine Laufzeit von 10 Minuten langsam durch Geriesel in ein Weißes umwandelt. Auch sein letztes Werk, der achte Teil der Trypps Reihe ist da keine Ausnahme. Eine Frau hat eine LSD Erfahrung, steht in der Wüste und zwischen ihr und der Kamera hängt ein Spiegel der sich langsam anfängt zu drehen während im Hintergrund in regelmäßigen Abständen eine Art Gong zu hören ist. Irgendwann hört der Spiegel auf sich zu drehen, und die Frau ist Weg. Ganz Phänomenologisch, ganz Mystisch. Nicht so "Let Each one Go Where He May". Wüsste man nämlich nicht das Russell die zwei Brüder, welche die Protagonisten sind, bezahlt hat um im Film aufzutreten könnte man den Film fast als Dokumentarfilm durchgehen lassen.
Der Film ist in seiner Struktur klar aufgeteilt in 13 Einstellungen. Jede Einstellung geht genau 10 Minuten. Nach einer kleinen Einleitung durch eine Texttafel welche die Herkunft des Titels erläutert startet der Film mit seiner ersten Einstellung. Man sieht im Vordergrund Äste liegen und im Hintergrund tummelt sich ein kleiner See. Nach ein paar Minuten läuft ein Mann ins Bild und fängt an etwas an den Ästen zu hantieren, kurze Zeit später entsteht ein Feuer. Der Mann läuft wieder aus dem Bild. Ein anderer Mann kommt ins Bild. Er geht am Feuer vorbei, zum See im Hintergrund und fängt an seinen Oberkörper sowie sein Gesicht zu waschen. Als er fertig ist geht er zurück und läuft auf die Kamera hinzu, diese Bewegt sich nun in rückwärtiger Bewegung vor dem Mann während er läuft. Als er in einen naheliegenden Schuppen geht wartet sie draußen. Der Mann der zuvor das Feuer gelegt hat kommt aus selbigem Schuppen hinaus und zündet sich eine Zigarette an und wartet. Dies sind die ersten zehn Minuten. Feuer und Wasser.
Was folgt ist eine Reise zweier Brüder durch ihr Land welche trotz ihrer klaren
konzeptuellen Stärke sowie ihrer strengen Auseinandersetzung mit dem Wesen der Zeit eine mystische Undurchlässigkeit ausstrahlt. Russell synchronisiert die Übergänge der verschiedenen Einstellungen visuell haargenau oder durchbricht sie danach mit einem harten Schnitt. Er lässt den Zuschauer in der Präsenz der zwei Protagonisten nur um sie nach einer knappen halben Stunde zu verlieren. Der eine Bruder steigt plötzlich aus einem Bus aus. Der letzte verbleibende Bruder fährt etwas später mit einem Auto hinfort. Die Kamera muss sich in der nächsten Einstellung dann z.B. erst ihren Weg durch eine Mienen-artige Landschaft bahnen welche in ihrem, von jeglichem Leben völlig leergefegtem, Dasein eine spürbare Variation in Sachen Stimmung ist. Der Film wechselt so oft zwischen einem engen Bezug auf den Menschen und seiner Kultur öfters hin und her zu dem Bezug auf die Landschaft welche ihn umgibt.
Dies, als guter Überleitpunkt, steht dann auch im Kontext zu dem anfänglichen Zitat von Trinh T. Minh-ha. Russells Film ist, obgleich seiner sehr direkten Unmittelbarkeit, kein Dokumentarfilm über die Kultur der Suriname in Südamerika (denn dort spielt der Film). Noch ist er ein fiktionaler Film. Russell selbst sagt der Film sei zur Hälfte echt und zur anderen Hälfte Fiktion. Er bezahlte die zwei Brüder damit sie in seinem Film auftreten und gab ihnen eine einzige Forderung. Sie sollten nicht sprechen, oder eben so wenig wie möglich. Des-weiteren sind einige Aktivitäten und Szenen vorher geplant und abgesprochen. Das alleine zeigt auf das Russell nicht an dem ethnographisch objektiven photographieren dieser Kultur und seinen Begebenheiten interessiert ist, da er weiß das dies aus der Sicht eines Ausländers (welche er ist obwohl er dort schon des öfteren war und sogar früher einmal als Hilfsarbeiter tätig war) nicht möglich ist. Es geht ihm mehr um ein aufsaugen und zurückverfolgen von Menschen und Landschaften, deren Mystik und Stimmung oder Vergangenheit und Legende. Die Reiseroute der zwei Brüder ist nämlich z.B. auch die umgekehrte Route welche 300 Jahre zuvor auch von ihren Vorfahren genommen worden ist da diese von der Sklaverei der Niederländer geflohen waren. Der Film ist eine Art Hybrid, eine Fiktionale ethnographische Studie, ein struktureller Doku-Experimentalfilm oder eben nur ein verdammt guter und einzigartiger Film. Was auch immer es sein sollte, die Erfahrung war es mehr als wert.
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Nachtrag: Der Regisseur hat den Film übrigens für jedermann zugänglich auf seiner vimeo Seite Veröffentlicht:
Hier!